Re: SCHARIA: DAS GÖTZENGESETZ UND SEINE TEUFLISCHEN PARAGRAPHEN!

Abgeschickt von Thomas Riemer am 05 Februar, 2003 um 18:24:10:

Antwort auf: SCHARIA: DAS GÖTZENGESETZ UND SEINE TEUFLISCHEN PARAGRAPHEN! von Chris am 16 August, 2002 um 22:36:06:

Natürlich sind die sogenannten Christlichen Länder besser:

U S - J U S T I Z

Zwei Millionen Verdammte

Amerika sperrt seine Kleinkriminellen weg - auf ewig

Von Michael Schwelien

Los Angeles

Es war ein regnerischer Tag, an dem Stanley Durden in einem Lebensmittelgeschäft einen Regenschirm und zwei Flaschen Schnaps mitgehen ließ. Einfacher Diebstahl, der Wert der gestohlenen Sachen betrug 43 Dollar. Durden wurde von einem Gericht verurteilt zu, man will es kaum glauben, 25 Jahren bis lebenslänglich. Gut möglich, dass der 40-Jährige nie wieder in Freiheit kommt. Im Jahre 2025 darf er erstmals einen Antrag auf Freilassung zur Bewährung stellen.

Wo wurde Durden so gnadenlos abgeurteilt? Etwa in einem Land, in dem die Scharia gilt? Oder in Singapur, wo noch die Prügelstrafe angewendet wird? Nein, in Kalifornien, dem amerikanischen Bundesstaat.

Kalifornien ging vor sechs Jahren voran mit einer Regelung, die ihren Namen aus dem Baseball entlieh: Three strikes and you are out - dreimal daneben, und du bist raus. Im Rasensport bedeutet dies: Wenn ein Schlagmann den Ball dreimal nicht trifft, kommt der nächste dran. Im Gericht geht es härter zu: Wer zum dritten Mal wegen eines Verbrechens verurteilt wird, dem muss der Richter die Höchststrafe geben. Stanley Durden war 1987 schon einmal wegen Diebstahls verurteilt worden und 1989 wegen Raubs. Als der Obdachlose im Frühsommer dieses Jahres Regenschirm und Schnaps stahl, war er gerade erst 14 Monate auf freiem Fuß. Sein Pech, dass die Richter in Los Angeles Country, wo er die Tat beging, die Three-Strikes-Regel konsequent anwenden. Im nördlicher gelegenen San Francisco wäre Durden wohl freigekommen: Dort umgehen viele Richter die drakonische Strafzumessungsregel, indem sie befinden, es handele sich nicht um ein Verbrechen, sondern um ein Vergehen.

Nun aber befindet sich Durden in Susanville, einem Hochsicherheitsgefängnis in der kalifornischen Wüste. Er ist einer von zwei Millionen Menschen, die in den Vereinigten Staaten einsitzen - bei einer Bevölkerung von 250 Millionen. Vor zwanzig Jahren waren es noch rund 500 000. Zum Vergleich: In Deutschland sind bei einer Bevölkerung von 82 Millionen weniger als 75 000 Menschen inhaftiert.

Würde Albert Gore oder George Bush im Wahlkampf eine Reform des Strafrechts oder gar ein Ende der oft von Rachegedanken geleiteten Strafwütigkeit fordern, wäre ihm die Niederlage sicher. "Lock them up, and forget them" (einsperren und vergessen), "throw the key away" (werft den Schlüssel weg) und "you did the crime, you do the time" (du hast etwas verbrochen, also sitzt du auch) fordert Volkes Stimme. In einem Land, in dem Richter und Staatsanwälte häufig direkt gewählt werden, mag sich kein Politiker und niemand in der Strafjustiz dem Vorwurf aussetzen, er sei "soft on crime", ein Weichling bei der Verbrechensbekämpfung.

Sieht man einmal von den hohen Mordraten ab (es ist noch immer leicht, sich Waffen zu besorgen), entsprechen die Verbrechenszahlen in Amerika etwa denen Westeuropas. Doch dieser Umstand wird nicht wahrgenommen. Immer neue Haftanstalten werden gebaut, viele als private Unternehmen, und es werden immer mehr Gefängniswärter eingestellt. Gleichzeitig boomt die Branche der Wach- und Sicherheitsdienste - und weil sie so viele bewaffnete Wachleute um sich sehen, fühlen sich die Amerikaner erst recht bedroht.

Diebstahl einer Pizza - lebenslänglich

Ganz vorne im Trend liegt Kalifornien, wo das Three-Strikes-Gesetz 1994 dank einer überwältigenden Mehrheit im Parlament und begeisterter öffentlicher Zustimmung von Gouverneur Pete Wilson mit triumphierender Geste unterschrieben wurde. Wilson erwog nach diesem Popularitätsschub sogar eine Präsidentschaftskandidatur für 1996. Er trat nicht an, weil zwischenzeitlich Bill Clinton die Idee besetzt und und die Three-Strikes-Regel in seiner ersten Rede zur Lage der Nation überschwänglich gelobt hatte.

Als Erster wurde seinerzeit ein Mann names Jerry Dewayne Williams aufgrund des kalifornischen Three-Strikes-Gesetzes verurteilt. Der 27-jährige Williams hatte einer Gruppe von Kindern ein Stück Pizza entrissen, ein "geringfügiger Diebstahl", wie es im amerikanischen Recht heißt. So etwas wäre früher als Vergehen eingestuft worden. Doch dank Williams' Vorverurteilungen wegen Raubs, versuchten Raubs, Rauschgiftbesitzes und Fahrens ohne Führerschein, die allesamt verbüßt waren, wurde der Pizzaklau zum Verbrechen erklärt - Williams bekam 25 Jahre bis lebenslänglich. Seit diesem Urteil hat sich Kalifornien, einst das Vorbild im Bildungs- und Gesundheitswesen, ganz dem Strafen verschrieben. Heute steht der Sonnenscheinstaat an 45. Stelle beim Bildungsetat, an erster bei den Knastausgaben.

Über 200 000 Menschen sitzen allein in den kalifornischen Haftanstalten, mehr als in Deutschland, England und Frankreich zusammen. Während die staatlichen Universitäten Studenten wegen Platzmangels abweisen, erlaubt sich der Steuerzahler den Luxus, für jeden Häftling 21 375 Dollar pro Jahr auszugeben - für Häftlinge wohlgemerkt, die in der überwiegenden Mehrzahl keine Gewaltverbrecher sind. Die Haftanstalten sind hoffnungslos überfüllt. Und die Gerichte überlastet.

Zwei Tage im Gerichtssaal 218 im Santa Monica County Building, Roberta Kyman hat den Vorsitz: Dies ist ein Arraignment, also eine Anklageerhebungskammer - Richterin Kyman hat darüber zu befinden, ob eine Hauptverhandlung angesetzt wird. In ihrem Gericht werden indes in den meisten Fällen - wie überall in den USA - die Strafen im Schnellverfahren zwischen Staatsanwälten und Strafverteidigern ausgehandelt. Drei Sheriffs führen die Angeklagten herein, immer sechs werden zugleich auf die Anklagebank gesetzt. Es sind Leute, die gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen haben, Trebegänger, kleine Dealer, illegale Einwanderer, Diebe, Räuber, gelegentlich Mörder - "alles, was das System so anschwemmt", sagt Dave Armstrong, der junge leitende Staatsanwalt, der seine Fälle so routiniert abwickelt, dass er während der Sitzungen die Zeit für ausgiebige Interviews findet. Ihm fällt schon gar nicht mehr auf, dass die Angeklagten jeweils zu dritt aneinander gekettet in den Saal geführt werden. In einer Gruppe befinden sich der weiße Robert Kelly, Diebstahl, erste Bestrafung, 60 Tage Haft, der schwarze Keith Wymbush, einfacher Diebstahl, Vorstrafe, 32 Monate Haft, und der Mexikaner Jose Martinez, betrunken in der Öffentlichkeit, keine Vorstrafe, sechs Tage Haft, vier Tage U-Haft werden angerechnet.

"Warum werden sie alle in Ketten hereingezerrt wie Schwerstverbrecher, Mr. Armstrong?" - "Bei der Masse von Fällen ist es den Sheriffs nicht zuzumuten, die ganzen Akten durchzusehen und nach schweren und nach leichten Fällen zu unterscheiden."

"Warum haben Sie überhaupt so viele Fälle zu verhandeln?" - "Wir haben so viele Verbrechen."

Wer ohne ärztliches Attest einen Joint raucht, wird bestraft: bei der zweiten oder dritten Verurteilung mit 16 Monaten Haft. Wer Kokain verkauft, der bekommt schon beim ersten Mal 180 Tage aufgebrummt. Hat er noch zwei Vorverurteilungen für frühere Verbrechen - was bei kleinen Dealern wegen der üblichen Beschaffungskriminalität häufig der Fall ist -, dann gilt auch für ihn: Three strikes and you are out.

Corcoran im fruchtbaren San Joaquin Valley. Kaliforniens neuestes Gefängnis, das Substance Abuse Treatment Facility and State Prison, kostete 383 Millionen Dollar und hat Platz für 3324 Insassen. Noch vor der Eröffnung wurde eine Überbelegung von 7500 genehmigt.

Der Name Substance Abuse Treatment Facility deutet auf eine Behandlung von Drogensüchtigen hin. Doch in dem entsprechenden Block ist nur Platz für 1056 Gefangene, deren "Behandlung" sich auf Diskussionen in Selbsterfahrungsgruppen beschränkt. 1914 Arbeitsplätze wurden geschaffen, verkündete die Gefängnisbehörde damals stolz. Und: Niemand in Corcoran müsse Angst haben - denn der 5100 Volt starke Elektrozaun um die Anlage "ist fähig, 650 Milliampere zu liefern". Siebzig töten.

Die Aufseherin Belle Jones führt mich durch - und warnt: Die Gefangenen sind aggressiv. Die Lebenslänglichen sind am ehesten zur Gewalt bereit, sie werden ohnehin nie wieder herauskommen.

Im E-Hof steht der Bau E-1: für die administrative segregation, eine von der Verwaltung angeordnete Trennung der schlimmsten Missetäter von den anderen Gefangenen. Wer in dieser Betonfestung innerhalb der hoch gesicherten Anlage landet, ist wie lebendig begraben. Sobald die Stahltür per Fernbedienung geöffnet worden ist, schlägt einem ungeheurer Lärm entgegen. Und Gestank. Viele Gefangene, allein oder zu zweit in den Zellen, schreien sich Botschaften durch die Luftschlitze ihrer Türen zu. Andere brüllen in die Schächte der Klimaanlage. Manche traben unablässig auf der Stelle herum. Wieder andere werfen einander "Angelleinen" zu, Kassiber, die an langen, aus der Häftlingskluft herausgezogenen Fäden hängen. Wenn ein Wärter zu nahe an eine Zellentür tritt, wird er "vergast" - mit Wurfgeschossen aus Urin und Kot.

"Angst habe ich nicht", sagt der wuchtige Sergeant Beeler, der hier Dienst tut. Er trägt eine schwere Schutzweste. Auf einer erhöhten Kanzel mit Blick auf alle Zellen steht ein weiterer Wärter mit einem großkalibrigen Gewehr im Anschlag. Er würde ohne Warnung gezielt schießen. An der Wand vor einer Reihe von Verhörzellen sind acht mannshohe Gitterkäfige aufgestellt. Man könnte sie für Wäschekörbe halten. Gerade wird ein junger Latino hereingeführt. Er ist in Ketten gelegt - eine verläuft um die Taille, an den Seiten sind die Handschellen befestigt, eine andere verläuft zwischen den Beinen zu den Fußschellen, sodass die Wärter ihn an der Kette führen und mit einem Ruck zu Fall bringen können, ohne ihn anfassen zu müssen. Nun wird er mit dem Gesicht zur Wand in einen der Käfige gesperrt. Er ist soeben von einer anderen Abteilung hierher verlegt worden und muss warten, bis eine Zelle für ihn gefunden wird. "Nie würden wir einen zur Strafe in einen Gitterkäfig stecken", sagt Captain Ed Davison.

Davison leitet den E-Block. Er trägt als einziger Aufseher keinen Schutzanzug. Er geht ganz nahe an die Zellentüren heran. Er grinst, als einer in seiner Zelle Gesichter schneidet und brabbelt, "lass mich raus, lass mich raus, ich bringe nie wieder einen um". Und er nimmt für einen Augenblick die Sonnenbrille ab, die er auch im Halbdunkel des toten Trakts trägt. Aus den Augen des 57-Jährigen spricht Misstrauen gegen jeden - Folge eines Lebens als Wärter. Davison zischelt ironisch ganz nahe dem Latino, auf dass dieser die Botschaft deutlich vernehmen möge: "Nie würden wir einen mit dem Käfig bestrafen, nicht wahr?"

Kindesmisshandler werden in den E-1-Bau gesteckt, "zum eigenen Schutz", wie Davison sagt. Wer ausbricht oder es auch nur versucht, kommt hier herein, wer Mithäftlinge angreift auch. Und wer einen Vollzugsbeamten attackiert. "Bei mir hier drin", meint indes der Captain stolz, "ist noch nie ein Officer angegriffen worden." Allerdings wurde in einer ähnlich sicheren Isolierabteilung eines anderen Gefängnisses kurz zuvor ein Officer mit einem Speer ermordet. Ein Häftling hatte die Waffe aus Zeitungspapier gefertigt, sie immer wieder mit Zuckerwasser getränkt, wodurch sie hart, schwer und - wegen der Kristalle - rasiermesserscharf geworden war.

Aus dem Styropor von Trinkbechern basteln die Insassen Messer, die sie beim Hofgang auf dem Asphalt schleifen, aus Fäden drehen sie Garrotten, aus Matratzen fertigen sie Knüppel. Und beim Hofgang oder beim Duschen würden sie sich gegenseitig umbringen, sagt Davison: "Wir müssen immer mit dem Äußersten rechnen." Dabei ist dieser E-Trakt keineswegs die schärfste Abteilung der kalifornischen Justiz. In anderen Gefängnissen gibt es noch die gesonderten Blocks für die Condemned, die Todeskandidaten. Und dann existieren noch Blocks, die Shu genannt werden: Security Housing Unit - eine Art Superhochsicherheitstrakt.

Im Corcoran State Prison, einem Bau aus dem Jahre 1988 mit knapp 5000 Häftlingen gleich nebenan, gibt es einen solchen Shu. Was genau dort in der ersten Hälfte der neunziger Jahre passierte, wird vermutlich nie restlos aufgeklärt werden. Sicher ist, dass in dem kleinen Freilufthof des Shu innerhalb von fünf Jahren sieben Häftlinge von Aufsehern erschossen wurden. Es scheint, als hätten die Officers regelrechte Gladiatorenkämpfe veranstaltet: Häftlinge aus verschiedenen Gangs mussten gegeneinander kämpfen. Ein Video aus einer Überwachungskamera, das von den sich offensichtlich völlig sicher fühlenden Beamten nicht gelöscht worden war, zeigt, wie einer der Erschossenen, der 25-jährige Preston Tate, und sein ebenfalls schwarzer Zellennachbar den Angriff zweier Latinos ruhig abwarten, statt sich sofort dem Kampf zu stellen. Mehrere Schüsse fallen, einer trifft Tate von hinten. Die Aufseher erklärten später, sie hätten eine drohende Auseinandersetzung verhindern wollen.

Auch in diesen Shu, wie in den E-Block, kommen Häftlinge, die als kleine Diebe angefangen hatten und erst im Knast gefährlich wurden. Da gibt es kein Entkommen: Gefangene, die sich keiner Gang anschließen, werden vergewaltigt, bestohlen und drangsaliert. In den Banden wird bedingungslose Loyalität gefordert, bis hin zur Bereitschaft, für seine Kumpane zu sterben. Dafür bieten die Gruppen Schutz und versorgen ihre Mitglieder mit Rauschgift - auf Kredit. Wer rauskommt, muss viele tausend Dollar abbezahlen, was ihn zu neuen Diebstählen und Raubüberfällen veranlasst. So führt sich das System wie ein schneller Brüter immer neuen Stoff selbst zu.

Zu den wenigen in Kalifornien, denen mehr als ein Gähnen über die Lage in den Gefängnissen zu entlocken ist, zählt die Bürgerrechtsanwältin Connie Rice in Los Angeles. Sie vergleicht Amerika mit Indien: Für die amerikanische Gesellschaft seien die Verurteilten längst eine "Kaste von Unberührbaren" geworden. Häftlinge haben also keine Lobby? Eine winzig kleine doch. Elizabeth Schroeder, eine Direktorin der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union, die sich für die Belange von Häftlingen einsetzt, unterstützt ein Gesetzesvorhaben, das bei den Wahlen in Kalifornien jetzt zur Abstimmung steht: Die Wähler können per Stimmzettel entscheiden, ob Drogendelinquenten in Zukunft behandelt anstatt eingesperrt werden sollen.

In Kalifornien werden viele Gesetztesinitiativen dem Volk zur Entscheidung vorgelegt. Die Tendenz dieser direkten Demokratie ist meist konservativ, zum Beispiel für Steuersenkungen, aber gegen zweisprachigen Unterricht an den Schulen. Für jede Gesetztesinitiative muss eine Kostenanalyse eingereicht werden. Elizabeth Schroeder weiß, wie die meisten Fachleute, dass Therapie weit billiger käme als Knast. Aber sie glaubt nicht, dass die Wähler in diesem Fall dem Kostenargument folgen werden.

(c) DIE ZEIT 45/2000


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